Weil sie in ihrem angestammten Prüfgeschäft nicht mehr wachsen konnten, entschlossen sich die Big Four der Wirtschaftsprüferszene PwC, KPMG, EY und Deloitte vor gut zehn Jahren, nicht nur verstärkt Consultingdienstleistungen anzubieten, sondern auch in das Geschäft der Rechtsberatung vorzudringen.
Die großen Wirtschaftskanzleien nahmen von den neuen Wettbewerbern lange Zeit wenig Notiz. Die spezialisierten Traditionskanzleien wähnten sich in einer völlig anderen Galaxie. Zum einen weil die „Legal“-Geschäftsfelder der WP-Gesellschaften eher durch die Marke ihrer Organisation als durch einzelne Partner geprägt waren. Zum anderen, weil die Partner dort tendenziell jünger und damit weniger bekannt waren. Doch seitdem die Rechtsberater der Big Four & Co ihnen immer häufiger auch ganz normale Mandate abjagen und teils kräftiger wachsen als sie selbst, rumort es hinter den Kulissen der Wirtschaftskanzleien.
Spätestens seitdem KPMG Law 2019 als erster Rechtsberatungsarm einer Big-Four-Gesellschaft in die Top-20 der umsatzstärksten Law Firms aufstieg, ist klar: Die WP-Anwälte sind zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz herangewachsen. Sie halten im Vergleich zu den Traditionskanzleien mehrere Trümpfe in der Hand. Das wichtigste Ass, mit dem sie bei den Mandanten aus der Wirtschaft punkten können, sind ihre hohen Investitionen in das immer relevanter werdende Beratungsfeld der sogenannten Legal Operations. Mit ihrer Expertise in puncto Prozessanalyse und den personell starken Beratungszweigen helfen sie den großen Unternehmen, ihre Rechtsabteilungen effizienter zu gestalten – das fängt bei der optimierten Beschaffung von externen Rechtsdienstleistungen an und reicht bis hin zur Einführung von Leistungskennzahlen für die Rechtsabteilung, die dazu beitragen, die Bearbeitungszeit und damit die internen Kosten von rechtlichen Anfragen aus dem eigenen Unternehmen besser steuern zu können.
Hinzu kommt: Die Berater der WP-Gesellschaften genießen einen besonderen Vertrauensvorschuss, weil sie durch vorherige Prüf- oder Beratungsgeschäfte die Strukturen gut kennen. Nicht zuletzt haben sie Rückenwind durch den Trend immer mehr Aufgaben der internen Rechtsabteilungen outzusourcen. Aber auch die Beratungskompetenz in Sachen Legal Tech, mit denen die Big Four die Unternehmen unterstützen, hilft ihnen, auch in die konventionelle Mandatsarbeit einzusteigen.
Quelle: Handelsblatt, 18. Februar 2020, Printausgabe