"Einkäufer müssen flirten lernen"

Jürgen Pahl, Leiter Strategie der Einkaufsberatung Kerkhoff Consulting über die neuen Anforderungen an Einkäufer in Handelskonzernen.

Herr Pahl, Sie haben viele Jahre die Einkaufsgesellschaft der Metro AG geleitet. Zurzeit bereiten die knapper werdenden Rohstoffe und das Auf und Ab der Preise Einkäufern in Industrie und Handel Kopfzerbrechen. Werden die Einkaufsabteilungen demnächst Banker und Rohstoffexperten anheuern müssen, um Versorgung und Finanzierbarkeit von Rohstoffen noch gewährleisten zu können?

Hier sind eher die vorhandenen Einkäufer selbst gefragt. Noch ist das Thema nicht Existenz bedrohend. Aber Einkäufer sollten jetzt damit beginnen, ihr Wissen um Rohstoffmärkte und Absicherungsgeschäfte - dem so genannten Hedging - zu vertiefen. Und das bedeutet auch, dass der Einkäufer zukünftig im permanenten Austausch mit Bankern und beispielsweise Agrarexperten stehen wird.

Wo und wie können Einkäufer das notwendige Wissen hierfür erwerben?

Sie müssen sich das ganz praktisch vorstellen. Im ersten Schritt müssen sich Einkäufer erst einmal intensiv mit der Herkunft der Waren beschäftigen, die sie benötigen. Gerade auf den Rohstoffmärkten beobachten wir Oligolbildungen. Um nicht in eine zu große Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten zu geraten, müssen die Unternehmen neue Analysemethoden zur Herstellung, Verarbeitung und Verwendung von Produkten erarbeiten. Wenn zukünftig die Versorgung einmal in Frage gestellt ist, müssen sie neben den bestehenden Quellen bereits Handlungsalternativen in petto haben.

Einkäufer gelten nach wie vor als Preisdrücker. Wird sich daran etwas ändern?

Es ist und bleibt die Aufgabe des Einkäufers, den günstigsten Preis für sein Unternehmen zu finden. Daran wird sich nichts ändern. Aber Einkäufer werden zukünftig auch verkäuferisches Talent benötigen. Denn wenn der Markt sich von Nachfrage auf Angebot umstellt, werden Einkäufer im Handel beispielsweise künftig den Herstellern von A-Produkten verdeutlichen müssen, warum ausgerechnet sie der richtige Partner sind, diese Produkte dem Endverbraucher zugänglich zu machen. Der Einkäufer wird das Flirten lernen müssen - und dadurch automatisch sein Image nach Außen verändern.

Seit Jahren singt man im Einkauf das Hohe Lied der vertrauensvollen, langfristigen Lieferantenpartnerschaften. In der Praxis aber werden Zulieferer mehr denn je preisorientiert ausgewählt und wenn es zur Krise kommt, muss jeder selber sehen, wie er überlebt. Warum glauben Sie, dass sich daran etwas ändern wird?

Weil der Wettbewerb immer härter wird. Bei kritischen Gütern und in ihren Kernsortimenten werden sich Unternehmen weder ein zu oberflächliches Beziehungsmanagement noch allzu selektive, willkürliche Verfahren der Lieferantenauswahl leisten können. Händler brauchen eine stärkere Nähe zum Erzeuger. Denn nur so können sie sich ein Bild davon machen, in welchen Nöten und Abhängigkeiten der wiederum steckt, aber auch welche Entwicklungschancen eine langfristige Lieferantenpartnerschaft bieten könnte. Nur wer mit seinen Lieferanten eng und vertrauensvoll zusammenarbeitet, kann gemeinsam auf Preisveränderungen sinnvoll reagieren. Um die Margen zu optimieren, müssen Einkäufer künftig noch stärker die Produktkosten entlang der Wertschöpfungsketten analysieren. Das gilt für Handels- wie für Herstellermarken. Auch im Unternehmen gilt es Veränderungen vorzunehmen: Beschaffungsvolumina müssen analog zur Produktions- und Vertriebsplanung strukturiert werden, um Warenfluss und damit Wertschöpfung optimal zu steuern.

Wie wird sich die Rolle des Einkäufers im eigenen Hause verändern?

Auch wenn man vielleicht Gegenteiliges hofft: Der Einkäufer ist in vielen Handelsunternehmen oft nur Disponent. Der Beschaffungsmanager der Zukunft wird sich mit der Herstellungs- und Vermarktungsseite, ihren Risiken und Alternativen umfassend auseinandersetzen müssen, um künftige Entscheidungen zu Vermeidung von Versorgungslücken wirtschaftlich richtig treffen zu können. Damit wird der Einkäufer vom Disponenten der Vertriebsorganisation von morgen zum relevanten Partner derselben, um Kundenbedarfe gemeinschaftlich zu gestalten. Der Beschaffungsmanager erarbeitet die Alternativen des Herstellungsmarktes, der Vertrieb konzentriert sich auf die wettbewerbsfähige Vermarktung. Der Handlungsspielraum wird damit deutlich erweitert und erfordert tiefes Wissen über alternative Beschaffungsinstrumente, sowie deren Anwendung und Wirkung. Meine feste Überzeugung ist: Zukünftig müssen Vertrieb und Einkauf gleichbedeutend und partnerschaftlich miteinander arbeiten. Das wird auch von den Vorständen der Handelsunternehmen forciert werden.

Wie können sich Nachwuchskräfte auf die neuen Anforderungen vorbereiten?

Neben den bekannten betriebswirtschaftlichen Bildungswegen sind fachliches Spezialwissen der zu beschaffenden Ware erforderlich und erweiterte Kenntnisse in Marketing und Wettbewerbsrecht zunehmend entscheidend. Verhandlungssicheres Englisch ist Minimum und professionelles Wissen zum internationalen Handel ist zukünftig unabdingbar.

Wird der Handel stärker zur Eigenproduktion gezwungen sein und welchen Stellenwert werden Lebensmittel bei steigenden Preisen im Ansehen der Verbraucher einnehmen?

Mir ist bewusst, dass einige Handelsunternehmen sich in der Eigenproduktion probieren. Aber hier gilt es die Frage zu stellen: Wenn Händler gute Produzenten wären - warum haben sie dann nicht schon immer selbst produziert? Meine Antwort: Weil Händler etwas davon verstehen, Menschen Produkte zugänglich zu machen. Und darauf sollten und werden sich Händler auch in Zukunft konzentrieren. Weil sich Händler auf diese Kernkompetenz konzentrieren, werden sie auch bei steigenden Lebensmittelpreisen diese Preissteigerungen dem Endverbraucher vermitteln können.

Das Gespräch führte Julia Leendertse.

(4. April 2011)

Interview