JobguideXpress SCM: Herr Boess, wer als Einkäufer erfolgreich sein will, sollte möglichst auch mit interkulturellen Unterschieden vertraut sein. Wie unterschiedlich sind die Einkaufsmentalitäten von Land zu Land?
Boess: Weltweit haben Einkäufer immer die gleiche Aufgabe: Waren und Güter zu beschaffen. Der feine Unterschied liegt darin, wie man sie beschafft. Wir Europäer gehen im Allgemeinen sehr sachorientiert an Geschäfte heran. Im asiatischen Markt hingegen ist man stärker personenorientiert. Die Beziehung zwischen Auftraggeber und Lieferantn, die Frage, ob man jemandem vertraut und sich auf ihn verlassen kann, spielt hier eine große Rolle für den Geschäftserfolg. Gerade bei strategisch wichtigen Projekten ist es daher wichtig, genügend Zeit mitzubringen, um erst einmal eine Beziehung zum Lieferanten aufzubauen.
JobguideXpress SCM: Wie äußert sich das in der Praxis?
Boess: Meistens führen diese unterschiedlichen Denkweisen erst einmal zu Überraschungen.Deutsche Geschäftsleute sind es gewohnt, dass sie Produkte, die sie in Auftrag geben, ihrem Lieferanten nur exakt genug spezifizieren müssen und dass der andere dann schon weiß, was er zu tun hat. Sie schicken also ihre Bestellung nach China oder Indien, erhalten von dort per E-Mail ein "Ja" als Bestätigung und wundern sich, warum anschließend nichts passiert. Viele merken erst im Laufe der Zeit, dass der andere wahrscheinlich nur "Ja" gesagt hat, weil es in seiner Kultur kein "Nein" gibt.
JobguideXpress SCM: Wie kann denn dann ein Geschäft zustande kommen?
Indem man sich Zeit nimmt und zum Beispiel die Bestellung mit dem Geschäftspartner Punkt für Punkt durchgeht. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Asiaten es durchaus schätzen, an die Hand genommen zu werden. Chinesen beispielsweise arbeiten gerne und sehr viel und arbeiten gerne Punkte ab. Im indischen Raum hingegen geht es darum, dem Geschäftspartner Raum zu geben, dass er seinen eigenen Willen entwickeln kann. Deutsche Einkäufer scheuen aber zunächst häufig vor einem solchen "Durchkauen" der Bestellung zurück, weil sie das Gefühl haben, ihrem Geschäftspartner im Ausland dadurch Zeit zu stehlen, ihn gar zu langweilen oder ihm zu nahe zu treten. Wo wir das Gefühl haben, warum reden wir eigentlich so lange, das ist doch längst verstanden, geht es dem ausländischen Partner meist darum, eine Beziehung zu uns und dem Projekt zu entwickeln.
JobguideXpress SCM: Müssen sich deutsche Einkäufer also stärker zurücknehmen?
Boess: Auf jeden Fall müssen sie sich von der Vorstellung verabschieden, dass nur der gerade Weg zum Ziel führt. Geradlinigkeit ist ein Kennzeichen der deutschen Geschäftskultur. Das heißt aber noch lange nicht, dass sich Qualität und Höchstleistung nur durch Geradlinigkeit erreichen lässt. Im Umgang mit asiatischen Lieferanten sind gerade die vielen Zwischenschritte ausschlaggebend für den Erfolg. Wichtig ist, sich gemeinsam mit seinem asiatischen Geschäftspartner detailliert abzustimmen und dabei immer im Hinterkopf zu behalten, dass es in Asien wichtig ist, sein Gesicht wahren zu können. Damit ausgeschlossen ist, dass der andere sich eine Blöße geben könnte, muss man ihm sehr genau zuhören und lernen, zwischen den Zeilen zu lesen, ob man sich gegenseitig auch wirklich richtig verstanden hat.
JobguideXpress SCM: Was zeichnet einen guten internationalen Einkäufer aus?
Boess: Neugier und der Wille, sich auf andere Menschen, fremde Verhaltensweisen und Kulturen immer wieder neu einzulassen. Wichtig ist vor allem, die Geduld aufzubringen, wenn Dinge nicht so laufen wie sie laufen sollten, nach neuen Verständigungswegen zu suchen und dabei nicht das eigentliche Ziel aus den Augen zu verlieren.
JobguideXpress SCM: Gibt es Einkäufer, die sich in allen Kulturkreisen bewegen können oder machen landesspezifisches Know-how und der richtige Stallgeruch am Ende doch den entscheidenden Unterschied?
Boess: Im Umgang mit den unterschiedlichen Einkaufskulturen kann man sich durchaus als Einkäufer über die Jahre ein Rüstzeug aneignen, dass einem das Geschäftemachen weltweit erleichtert. Es gibt Spitzenleute, die Unternehmen als Multifunktionswaffe wahrscheinlich überall hinschicken könnten. Trotzdem gilt: Ob jemand als Einkäufer in China, Russland oder Brasilien wirklich gut funktioniert, lässt man am besten von einheimischen Spezialisten beurteilen. Ich zumindest habe die Erfahrung gemacht, dass man sich als Westler schnell von guten Englischkenntnissen blenden lässt. Kandidaten, die gut Englisch sprechen, hält man schnell auch für fachkompetent. Deshalb führen wir zum Beispiel bei der Personalauswahl in China jeweils zwei Interviews durch - eins führe ich mit den Kandidaten, das andere unsere chinesische Geschäftsführerin.
JobguideXpress SCM: Und? Kommen Sie am Ende meistens zum selben Ergebnis?
Boess: Ehrlich gesagt: Nein. Aber das gerade macht die Personalauswahl so spannend. Wir sind dadurch gezwungen, die Pros und Contras von Kandidaten noch genauer zu analysieren und lernen bei jeder Personalauswahl nicht nur viel über die Bewerber selbst, sondern auch darüber, wie unterschiedlich Chinesen und Europäer beim Thema Einkauf ticken.
Das Gespräch führte Julia Leendertse.