Karriere mit Raketenantrieb

Anja Frank hat wahrscheinlich genau den Beruf, von dem Generationen kleiner Jungen geträumt haben: Beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist sie Abteilungsleiterin am Institut für Raumfahrtantriebe. In Lampoldshausen, einem kleinen Ort zwischen Würzburg und Heilbronn, werden seit 50 Jahren die chemischen Antriebe der europäischen Raketen und Raumfahrtsysteme getestet und weiterentwickelt. Hier war auch schon Anja Franks Vater beschäftigt, der sie mit seinen Erzählungen daheim so fesselte, dass für sie nach dem Abi gar nichts anderes in Frage kam, als Luft- und Raumfahrttechnik zu studieren.

Bildnachweis: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt

Auch als sie dann 1997 die Stuttgarter Uni verließ, war es klar, dass sie sich beim DLR bewerben würde. Ihre Einstiegsposition als Prüfingenieurin beim DLR war dann auch genau das, was sie aus Erzählungen von zuhause ohnehin schon kannte.
Inzwischen leitet die 41-Jährige eine Abteilung mit 76 Mitarbeitern und der Deutsche Ingenieurinnen-Bund wählte sie 2011 unter die 25 einflussreichsten Ingenieurinnen in Deutschland. Einflussreich ist sie schon deshalb, weil der DLR-Standort Lampoldshausen für die europäische Raumfahrt von zentraler Bedeutung ist. Das Team von Anja Frank betreibt hier Prüfstandanlagen, in denen Antriebe für die großen europäischen Raumfahrtprogramme getestet werden.
Diese Programme haben so gar nichts mehr zu tun mit Missionen zum Mond oder Mars oder anderen Planeten. „Heute geht es um die kommerzielle Nutzung der Raumfahrt“, erzählt die Ingenieurin. Den meisten Menschen sei gar nicht klar, dass sie fast jeden Tag indirekt die Raumfahrt nutzten: „Die Trägerraketen befördern Nutzlasten ins All, vor allem Satelliten für die Kommunikation, die Wetter- und die Erdbeobachtung. Jeder, der ein Handy oder ein Navi nutzt, braucht letztlich unsere Arbeit.“ Und auch bei Tsunamis, Stürmen oder Überschwemmungen werde die Lage mit Hilfe von Satelliten beurteilt und dann darauf basierend Katastropheneinsätze  koordiniert.
Deutschland ist beteiligt an vielen internationalen Programmen, ist mit vielen anderen europäischen Ländern Teil der ESA (European Space Agency). Diese verwaltet auch die Gelder, die die Länder zum Budget der europäischen Trägerrakete Ariane beisteuern. Das Prinzip dabei: Was ein Land einzahlt in den Topf, schüttet die ESA auch wieder aus an die Industrien der Länder, damit der Know-how-Aufbau auch den Zahlern wieder zugute kommt. Deutschland gehört neben Frank­reich zu den Hauptfinanziers der ESA und hat darüber hinaus auch noch nationale Programme zur Erdbeobachtung und bilaterale Abkommen mit anderen Ländern über gemeinsame Raumfahrt-Programme geschlossen.
Über 60 Meter hoch ist der Prüfstand, in dem das Team von Anja Frank das Vulcain-Triebwerk testet, mit dem die Ariane 5 am Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana startet. Im Gegensatz zu Flugzeugtriebwerken, die mit Kerosin betrieben werden, würden Raketentriebwerke mit flüssigem Wasserstoff und flüssigem Sauerstoff bewegt, erzählt Frank. „Flugtriebwerken wird vor ihrem Einsatz in der Rakete auf dem Prüfstand getestet, um die fehlerfreie Funktion nachzuweisen und um die Leistungsparameter zu bestimmen, damit der Flug optimaler gestaltet werden kann.“  Daher übergeben die Hersteller dem DLR ihre Haupt- und Oberstufentriebwerke, damit sie auf einem Prüfstand gezündet und gemessen werden und alle Daten, die dabei erhoben werden, zur Verbesserung der Triebwerke dienen können.  
Als Anja Frank noch nicht Abteilungsleiterin war, hat sie selbst als Versuchsleiterin bei solchen Tests im Kontrollraum gesessen und die Spannung hautnah miterlebt. Das ist nun nicht mehr die Regel, aber auch heute noch hat Frank einen Gutteil technische Tätigkeit, denn schließlich managt sie Prüfstände, Tankanlagen, Dampferzeuger und Kühlwasseranlagen. Vor allem wenn mal was nicht läuft, muss sie selbst mit tüfteln und Maßnahmen ergreifen. Daneben hat sie aber auch viele Schreibtisch-Aufgaben: „Personaladministration ist ein wichtiges Thema, aber ich muss auch die Infrastruktur bereitstellen, damit mein Team arbeiten kann“, erzählt Frank. Wichtig sei auch, die Aufträge zu verhandeln mit den Auftraggebern, also der ESA und den Triebwerksherstellern am Tisch zu sitzen.
Den „Papierkram“ liebt die begeisterte Ingenieurin nicht gerade inniglich, aber solche Arbeiten kann sie immerhin von zuhause aus erledigen. Das ist dank der Arbeitszeitmodelle der DLR gut möglich und seit einiger Zeit auch öfter mal nötig. Denn inzwischen hat die Ingenieurin auch zuhause noch ein spannendes Projekt: 16 Monate ist ihre Tochter alt, fängt gerade an zu laufen und wird sicher als eines der ersten Worte neben „Mama“ und „Papa“ bald „Ariane“ sagen können.

Annette Eicker

Serie "Ladies in MINT"