Jobguide: Sie propagieren, der Mittelstand sei ein attraktiver Arbeitgeber für die Talente von morgen, insbesondere für den Führungsnachwuchs: Inwiefern ist es für einen Bewerber sinnvoll, das Angebot eines namhaften Konzerns auszuschlagen und bei einem Mittelständler anzuheuern?
Herbert Reiß: Mittelständler sind höchst attraktive Arbeitgeber, sie bieten sozusagen ein Fullmatch. Hier finden die Bewerber genau das, was sie suchen: abwechslungsreiche Teamarbeit mit internationalem Einsatz, faire Vergütung und eine positive finanzielle Situation des Unternehmens.
Woher wissen Sie denn so genau, was der qualifizierte Nachwuchs will?
Das sind die Schlüsselerwartungen der Bewerberkandidaten, wie eine aktuelle Studie des Deloitte-Mittelstandsinstituts an der Uni Bamberg zeigt. Darin wird auch deutlich: Die Art des Unternehmens spielt eigentlich keine Rolle für die Bewerber. Gut 65 Prozent der Befragten sind am Mittelstand interessiert. Nur: Bittet man die jungen Bewerber, mal einen Mittelständler beim Namen zu nennen, folgt meistens keine Antwort. Adidas, BMW, Porsche, Lufthansa dagegen kennt jeder, weil deren Produkte bekannt sind.
Und darum bewerben sich bei diesen sogenannten Top-Arbeitgebern so viele Akademiker?
Genauso ist das. Die verschiedenen Arbeitgeber-Rankings und die Markenbekanntheit unterstützen diesen Prozess.
Aber die Rankings helfen den Bewerbern doch auch. Wie soll der akademische Nachwuchs denn sonst gute Arbeitgeber erkennen?
Im Moment nur schwer. Da müssen die jungen Menschen eben selbst aktiv werden, sich ein Unternehmen rausfischen und das Gespräch suchen. Dass das nicht unbedingt einfach ist, gebe ich zu.
Wieso?
Ich nenne da mal ein Beispiel: 86 Prozent der Befragten gab an, dass sie einen Arbeitgeber dann besonders attraktiv finden, wenn sich das Unternehmen in einer positiven finanziellen Situation befindet. Diese Transparenz bieten aber nur wenige Mittelständler. Obwohl sie häufig die Könige der Nische sind und ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen sollten.
Klassischerweise ist das wohl die verpasste Gelegenheit. Auch für den Bewerber, der hilflos zurückbleibt, weil er das nicht identifizieren kann…
Ja, leider. Und im Mittelstand bietet sich nahezu überall das gleiche Bild, obwohl die Voraussetzungen ganz leicht zu erfüllen wären. Es ist total unbegründet, Geheimnisse um die Finanzen zu machen. Das hat sich zum Beispiel gezeigt, als in der vergangenen Zeit viele Private-Equity-Unternehmen bei Mittelständlern eingestiegen sind. Dadurch entstand mehr Transparenz. Alle Befürchtungen, dass die Konkurrenz zu viel Einblick ins Geschäft bekommt, haben sich nicht bestätigt.
Wie lässt sich die Situation verbessern?
Der Mittelstand muss seine Kommunikation verbessern, sich auf Bewerbermessen präsentieren, aktiver an die Hochschulen herantreten, Mentorenprogramme auflegen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Ein professionelles Konzept ist kein Teufelswerk, obwohl manche das so sehen. Und es kostet natürlich. Aber die Unternehmen könnten sich in der Branche oder regional zusammenschließen, um professionell Programme entwickeln zu lassen, sodass sich die ganze Sache auch rechnet.
Apropos Kosten: Können Mittelständler in Sachen Gehalt überhaupt
beim Ringen um die Fachkräfte mitziehen?
Die absolute Höhe des Gehalts steht bei den Bewerbern gar nicht im Vordergrund, sondern eine faire Vergütung im Vergleich zu Kollegen. Immerhin gut 80 der Befragten haben das in der Studie bestätigt. Im Übrigen wird das Thema erst wirklich interessant ab der zweiten Führungsebene. Und hier zahlt auch der Mittelstand mehr. Außerdem ist die Kaufkraft meist höher in den Regionen, wo mittelständische Unternehmen angesiedelt sind. So gleichen sich etwaige Nachteile wieder aus. Hinzu kommt, dass sich die Bewerber mehr und mehr fragen: Was ist das Leistungsbild? Der Mittelstand hat flache Hierarchien, wenig Formalismus in den Karriereschienen. Das Entwicklungspotenzial und vielfältige Aufgaben sind wichtig und auf lange Sicht wesentlicher als kurzfristig ein hohes Gehalt.
Es heißt, dass gerade die besonders gefragten Berufsgruppen, etwa
die Ingenieure, wenig mobil seien. Oder will der talentierte Nachwuchs nicht in der Pampa arbeiten und leben?
Zugegeben, der Standort ist wichtig für Bewerber. 54 Prozent der Befragten hat dies bestätigt. Viel mehr zählen für sie aber Arbeitsbedingungen, Attraktivität der Aufgaben, Führungsstil. Doch auch hier ist zu sagen: Wer nicht mobil ist, ist auch kein Talent im Sinne einer akademischen Fach- und Führungskraft. Hier muss beides, fachliche und soziale Kompetenz stimmen.
Ist der Weg über die Diplomarbeit oder ein Praktikum denn eine
gute Möglichkeit, ein mittelständisches Unternehmen kennen zu lernen
und sich für einen Job zu empfehlen?
Der Weg über ein Praktikum ist ein sehr guter Weg. Über Diplomarbeiten ist es schwierig, da ist die Unterstützung in den mittelständischen Unternehmen zu gering. Die haben einfach nicht die Möglichkeiten wie in den Konzernen.
Ist Employer Branding, also die Schärfung des Arbeitgeberprofils, für
Mittelständler das A und O bei der Suche nach qualifizierten Fachkräften?
Das ist heute schon wichtig und wird morgen noch doppelt so wichtig sein. "Hidden Champion" klingt ja immer ganz nett. Aber als Unternehmer muss ich mich doch fragen, was habe ich von "hidden". Der Mittelstand hat keinen Grund, sich zu verstecken. Transparenz und der Mut zur Offenheit sind gefordert, gerade wenn man die akademischen Talente für sich gewinnen will. Wie wichtig das ist, zeigt der Blick in die nahe Zukunft: Die Globalisierung zwingt zu mehr Professionalisierung. Es müssen Nachfolgestrategien entwickelt werden. Und weil der Mittelstand wachsen muss, um im Wettbewerb mitzuhalten, erfordert auch das qualifizierte Fachkräfte. Hier gibt es viel Entwicklungspotenzial, in jeder Hinsicht.
Das Interview führte Anne Koschik