„Ich bin Perfektionist“, nach wie vor kokettieren Bewerber gerne mit dieser Charaktereigenschaft, wenn sie nach ihrer größten Schwäche gefragt werden. So mancher Kandidat hofft mit falscher Bescheidenheit bei Personalern zu punkten. Schließlich ist das Streben nach Perfektion und die Bereitschaft, stets maximalen Einsatz zu zeigen, doch eigentlich genau das, was Unternehmen sich insgeheim wünschen, glauben viele. Aber Vorsicht: Nicht nur, dass die Antwort für erfahrene Recruiter meist reichlich abgedroschen klingt. Übertriebener Perfektionismus kann auch tatsächlich zum echten Karrierehindernis werden.
Übertriebene Angst vor Kritik
Perfektionistische Menschen seien innerlich überzeugt, dass sie sich Liebe und Anerkennung stets durch herausragende Leistung verdienen müssten, erklärt Karriereberaterin Ragnhild Struss in ihrem Karriereblog. Das könne fatale Folgen haben: Das permanente Streben nach Perfektion gepaart mit der Neigung, stets alles zu geben, führe dazu, dass die Betroffenen übersensibel auf eigene Fehler und Kritik reagieren. Aus Angst vor negativem Feedback legen sie die Latte immer höher; fast nie ist ihnen ein Ergebnis gut genug. Deshalb werden sie auch nie fertig: „Aus einem zunächst überwindbaren Hügel an Arbeit kann so schnell ein riesiger Berg entstehen“, warnt die Beraterin. Nicht selten gerieten Perfektionisten in einen Teufelskreis, bis am Ende ihre Leistung tatsächlich leide.
Warnsignale beachten
Nichts spreche gegen ein gesundes Maß an Perfektionismus, stellt Struss klar. Wer nach Perfektion strebe, zeige in der Regel Fleiß, Disziplin und harte Arbeit und erziele damit oft sehr gute Resultate, schreibt sie. Im Idealfall führten Engagement und Ehrgeiz zu beruflichen und privaten Erfolgen. Bei den folgenden Warnsignalen sei nach ihrer Erfahrung jedoch Wachsamkeit geboten.
Alarmsignale für ungesunden Perfektionismus
Du findest keinen Anfang: Vielleicht, weil Dein Anspruch so hoch ist, dass Dir das Ziel unerreichbar erscheint?
Du bist nie zufrieden: Comfort und Excellence don´t go together, heißt es. Aber Vorsicht: Wenn es Dir schwerfällt, das Erreichte zu würdigen, vergibst Du die Chance, Dich über gute Leistungen zu freuen und Stolz zu empfinden.
Du suchst stets den Fehler: Was fehlt? Wie geht es besser? Wo ist der Haken? Wer seinen Blickwinkel auf das Negative verengt, findet garantiert stets ein Haar in der Suppe – und läuft Gefahr, darüber die wichtigen kleinen Glücksmomente und Erfolgserlebnisse für ein gesundes Selbstwertgefühl zu verpassen.
Du kannst Dich nicht entscheiden: Wer aus allem das Bestmögliche herausholen will, empfindet jede Entscheidung als „Endgegner“. Der Druck, stets die perfekte Option zu wählen, kostet Kraft und raubt Dir den Mut.
Du hast Angst, negativ aufzufallen: Bloß nicht anecken? Warum nicht! Sich immer nur starr an Regeln und Vorgaben zu halten, nervt nicht nur die Kollegen, sondern wirkt auch wenig authentisch und lässt kaum Raum für innovative, kreative Ideen.
Du bist permanent im Stress: Für das perfekte Ergebnis nimmst Du regelmäßig Arbeit mit nach Hause und opferst Deine Freizeit? Achtung: Das macht Dich zum perfekten Burnout-Kandidaten.
Du leidest an Aufschieberitits: Auch dahinter kann sich falsch verstandener Perfektionismus und die Angst vor negativer Bewertung verbergen. Doch Hinauszögern ist keine Lösung: Wer wichtige Fristen versäumt, Abgaben immer wieder verschiebt und Projekte nicht beendet, schadet seiner Karriere.
Du findest kein Ende: Perfektionisten können schlecht aufhören, Energie in eine Aufgabe zu investieren. Sie optimieren Runde um Runde und werden nie fertig. Das ist nicht nur schlecht für die eigene Gesundheit, sondern auch für alle, die dringend auf Deine Ergebnisse warten.
Die gute Nachricht: Ein gesunder Umgang mit Perfektion lässt sich üben, schreibt Ragnhild Struss. Am besten in kleinen Schritten und Tag für Tag. „Erstellen Sie sich eine Liste mit persönlichen Glaubenssätzen“, empfiehlt sie. Zum Beispiel: „Auch, wenn nicht alle Anforderungen erfüllt sind, ist meine Arbeit wertvoll.“ Oder: „Man hätte das Thema noch ausführlicher bearbeiten können, doch gleichzeitig ist die Präsentation gelungen.“ Wer lerne, manchmal etwas weniger zu erwarten und auch mal loszulassen, befreie sich von unnötigem Druck – und gewinnt dafür Leichtigkeit und Freude zurück.
Quelle: Karriere-Blog von Ragnhild Struss