Der beste Schatz von Personalberatern war einst die gut gepflegte Visitenkartensammlung. Doch der Stellenwert des persönlichen Netzwerks hat sich auch in höchsten Headhunterkreisen verschoben. Selbst der Deutschlandchef der edlen Egon Zehnder-Partnerschaft, Michael Ensser, gibt im Handelsblatt-Interview unumwunden zu, dass er und seine Beraterkollegen „heute etwa 80 Prozent der Kandidaten, die für eine Position infrage kommen, über eine Plattform wie LinkedIn identifizieren“ können.
„Damit gehört die bloße Identifikation von Kandidaten nicht mehr zu unseren primären Wettbewerbsvorteilen,“ sagt Ensser. Die Digitalisierung bringe auch seinem Haus neue Konkurrenz. Schon heute gebe es Plattformen, auf denen Konzerne ihre Stellenbeschreibungen und Suchaufträge einstellten, wofür die Personalberater dann bieten könnten. Zurzeit gehe es „nur“ um Führungskräfte und kleinere Führungsrollen. Es sei jedoch nur eine Frage der Zeit, bis solche Plattformen auch in höhere Einkommensstufen vordringen würden.
Für sein Haus stehe deshalb fest: An die Stelle der reinen Direktsuche von geeigneten Executive-Kandidaten tritt mehr und mehr die strategische Beratung der Unternehmen und Organisationen, die für eine Position einen passenden Kandidaten suchen. Personalberater müssten sich heute zum Leadership-Advisor weiterentwickeln. „Wir suchen und finden für unsere Klienten nicht mehr nur neue Köpfe, sondern begleiten diese neuen und ihre alten Kollegen dann auch bei ihren Führungsherausforderungen“, sagt Ensser.
Immer häufiger treten die Zehnder-Berater deshalb auch bei Ausschreibungen in Konkurrenz zu Strategieberatern wie McKinsey oder BCG. Etwa im Jahr 2014 als die EZB eine Beratung suchte, die das Haus dabei unterstützen sollte, sich von einer Organisation, die einst mit Hundert Menschen Zins- und Währungspolitik gemacht hat, zu einem Apparat weiterzuentwickeln, der heute mit ein paar Tausend Leuten Banken und Staaten rettet.
Mit einem Jahresumsatz von 90 Millionen Euro ist Egon Zehnder die größte Personalberatung für Führungskräfte in Deutschland. Dabei hat ein Fünftel des Geschäfts hierzulande nichts mehr mit der klassischen Personalsuche zu tun.
Quelle: Handelsblatt, 9. November 2017