Ein Loft für die Karriere

Gero Hesse, Mitglied der Geschäftsführung der Bertelsmann-Tochter Medienfabrik in Gütersloh, erklärt, warum Unternehmen sich heute bei jungen Talenten bewerben und nicht mehr umgekehrt.

JobguideXpress: Herr Hesse, vor knapp sechs Wochen sind Sie mit der ersten On- wie Offline Karriereplattform Deutschlands "Careerloft" an den Start gegangen. Seither leben zwei junge Studentinnen mietfrei in einem 250-Quadratmeter großen Loft in Berlin-Kreuzberg, besuchen auf Ihre Kosten Arbeitgeber wie Audi, Boston Consulting Group, Ernst & Young und Hogan Lovells, um anschließend in ihren Blogs Gleichaltrigen aus erster Hand zu berichten, was sie in den Unternehmen erlebt haben. Hätten es Onlinestellenanzeigen nicht auch getan?

Hesse: Careerloft ist keine simple Stellenbörse, sondern eine Plattform, die es jungen Leuten ermöglicht, Arbeitgebern auf Augenhöhe zu begegnen. Aber ich kann Sie beruhigen: Auf unserer Karriereplattform im Internet veröffentlichen unsere zehn Partnerunternehmen durchaus auch konkrete Stellenangebote. Das allein aber reicht in der Tat nicht mehr aus, wenn man als Unternehmen aus einem Pool von jungen hochqualifizierten Akademikern schöpfen und mit den jungen Leuten über eine längere Zeit in Kontakt bleiben will. Um die guten Jungakademiker reißen sich nämlich zurzeit alle in der Wirtschaft und diese Entwicklung wird sich noch weiter zuspitzen.

JobguideXpress: Wer bewirbt sich denn bei wem? Die Unternehmen bei den Absolventen oder die Studenten und Absolventen bei den Unternehmen?

Hesse: Genau diese Frage lässt sich heute nicht mehr so leicht beantworten. Für so manchen Personalchef ist es natürlich schwer, sich umzustellen und sich zumindest teilweise in die Bittstellerrolle reinzudenken. Gerade Personalleiter waren es bislang gewohnt, sich im Umgang mit Kandidaten unumstritten am Schalthebel der Macht wähnen zu können. Tatsache ist aber: Junge, hochqualifizierte Akademiker sind heiß umkämpft und sich ihres Marktwertes mittlerweile sehr bewusst. Wer gut ist, braucht sich keinen Bewerbungsmarathon anzutun und hat vor allem keine Lust, jedes Mal aufs Neue seine Bewerberdaten mühselig in die Online-Formulare von zig verschiedenen Unternehmen einzugeben. Bei Careerloft ersparen wir den Kandidaten das. Sie müssen nur ein einziges Mal ihre Daten hochladen und können persönlich auswählen, welche Unternehmen Zugang zu ihrem Lebenslauf bekommen sollen und welche nicht. Wenn sie ihren Lebenslauf aktuell halten, werden sie dafür von uns mit Incentives belohnt.

JobguideXpress: Wie sehen denn solche Belohnungen aus?

Hesse: Besonders überzeugende Absolventen nehmen wir in unser Förderprogramm auf. Die Maßnahmen reichen vom kostenlosen Digital-Abo der Financial Times Deutschland über Coaching-Programme der EBS Universität für Wirtschaft und Recht bis hin zur persönlichen Betreuung durch einen Mentor. Interessierte Studenten und Hochschulabsolventen können sich gezielt wünschen, wer sie betreuen soll. Bei Careerloft gibt es eine Liste von Mentoren, die allesamt aus den Reihen unserer Partnerunternehmen kommen. Sie haben sich verpflichtet, die Nachwuchskräfte mindestens einmal persönlich zu treffen und danach für Fragen bereit zu stehen. Zuviel Regeln wollten wir nicht aufstellen. Der Sinn dieser Mentorenprogramme ist es, jungen Menschen möglichst früh Einblick in die Arbeitswelt ihrer Wunscharbeitgeber zu verschaffen und ihnen erfahrene Kräfte an die Seite zu stellen, die ihnen bei wichtigen Karriereentscheidungen behilflich sein können.

JobguideXpress: Und was haben die Unternehmen davon?

Hesse: In Deutschland gibt es bislang überraschend wenig Karrierenetzwerke. Viele Unternehmen investieren sehr viel Geld, um in Kontakt zu jungen Akademikern zu kommen. Damit Erstkontakte jedoch auch in konkrete Anstellungsverhältnisse münden, muss man als Arbeitgeber sehr systematisch alle Kontakte pflegen und teilweise über Jahre aufrechterhalten. Für ein einzelnes Unternehmen ist das zu aufwändig. Bei Careerloft erledigen wir das für mehrere Unternehmen, die alle aus sehr unterschiedlichen Branchen kommen und alle gleichermaßen und jederzeit auf die Bewerberdatenbank zugreifen können.

JobguideXpress: Neun Arbeitgeber haben sich Careerloft bisher angeschlossen. Was sind die Voraussetzungen, um mit dabei sein zu dürfen?

Hesse: Sie müssen schon zum Kreise der Toparbeitgeber zählen. Und mehr als 25 Unternehmen wollen wir insgesamt nicht aufnehmen.

JobguideXpress: Und was hat es mit den zwei jungen Frauen auf sich, die derzeit mietfrei in Berlin-Kreuzberg in Ihrem Karrierezentrum Careerloft wohnen?

Hesse: Beide sind Masterstudentinnen, werden ein viertel bis ein halbes Jahr lang bei uns sein und machen mit Sicherheit das coolste Praktikum, das es derzeit in Deutschland gibt. Im Careerloft veranstalten unsere Partnerunternehmen jede Menge spannende Events für Berufseinsteiger. Die beiden Careerloft-Bewohner haben zudem die Chance, bei jedem unserer Toparbeitgeber mehrere Tage mal reinzuschnuppern und sich vor Ort darüber ein Bild zu machen, wie dort gearbeitet wird. Wenn das Praktikum vorbei ist, haben andere Studenten die Chance, bei uns einzuziehen. Mit einem Manager von Audi oder Ernst & Young beim gemeinsamen Spaghetti-Kochen über die Jobchancen in seinem Unternehmen sprechen zu können, ist nicht das Schlechteste, was einem noch vor dem Berufseinstieg passieren kann.

Das Gespräch führte Julia Leendertse.

www.careerloft.de

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