Die Chancen
„Die Weltwirtschaftskrise hat die Verschiebung der globalen wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse weiter vorangetrieben“, sagt Mirko Warschun, Leiter des Beratungsbereichs Konsumgüterindustrie und Handel von A.T. Kearney. Auch die Unternehmensberatung McKinsey glaubt, dass Asien den Westen als wichtigsten Verbrauchermarkt überholen wird. Gleichzeitig stellten die Konsumenten neue Anforderungen hinsichtlich der Preis-Leistungs-Verhältnisse und Innovationen. Da überdies das Internet traditionelle Vertriebsmodelle aushöhle, sehe der globalisierte Handel einer Ära erhöhter Volatilität entgegen.
Die Ausgangslage im deutschen Handel ist jedoch derzeit nicht schlecht. Wachstumstreiber ist wie schon in den Jahren zuvor der boomende Online-Handel (siehe auch Seite 6 unten). Mehr als zwei Drittel der Verbraucher würden eher auf Schokolade verzichten als auf eine Internetverbindung. Das ergab eine Studie der Boston Consulting Group. 2014, sagen die Marktforscher von Forrester Research, shoppen bereits 44 Millionen Deutsche im Internet und geben darüber zusammen 44 Milliarden Euro aus. Davon profitiert sogar der stationäre Handel. Denn viele Kunden nutzen das Internet, um sich über Produkte schlau zu machen – und sie dann im Laden zu kaufen: Sechs Prozent der Einkäufe mit einem geschätzten Einkaufsvolumen von 250 Millionen Euro wären ohne das Internet erst gar nicht zustande gekommen.
Doch um am Online-Boom teilzuhaben, müssen Handels- und Konsumgüterunternehmen auch gezielt auf das veränderte Einkaufsverhalten reagieren. Multi-Channel-Vertrieb heißt nach wie vor das Zauberwort der Branche, in der vor allem der Handel versuchen muss, Produkte über alle Kanäle, darunter Katalog, Online-Shop und Geschäft, gleichermaßen anzubieten und diese Wege zum Kunden sinnvoll miteinander zu verknüpfen: „Kunden können sich per Katalog informieren, im Internet kaufen, die bestellte Ware in der Filiale abholen und die Reklamationen über das Call-Center abwickeln“, sagt das Beratungshaus PricewaterhouseCoopers.
Das erfordere neben einer Abstimmung und Vernetzung der Front-Ends zum Kunden integrierte Prozess- und Logistikkonzepte. Zudem reagieren Kunden auf das, was andere Kunden über das Produkt in den sozialen Medien oder auf entsprechenden Seiten kommentieren – und 70 Prozent entscheiden sich auf dieser Grundlage für oder gegen einen Kauf.
Für die Karriereentwicklung von Akademikern bedeutet der Trend zum Online-Handel, dass sich Unternehmen, die die Erweiterung ihres Versand- und Internethandels auf der Agenda haben, auf das Know-how von Informatikern, Wirtschaftsinformatikern, Vertriebs- und Marketingexperten, Logistikern und Juristen, die sich mit Internetrecht auskennen, stützen müssen. Insbesondere die Nachfrage des Handels nach ITlern und Logistikern ist deshalb ungebrochen.
Gleichzeitig muss der Handel damit fertig werden, dass die Ansprüche der Kunden wachsen und sie noch stärker in viele unterschiedliche Teil-Zielgruppen zerfallen, die jeweils für sich mit ihren Bedürfnissen und Wünschen bedient werden wollen. Zur wichtigsten dieser Zielgruppen gehört die Generation der „Silver Ager“, die sich nach eigenem Bekunden zehn bis 15 Jahre jünger fühlt als sie tatsächlich ist. Sechs Billionen Euro gaben Menschen jenseits der 60 im Jahr 2010 weltweit aus, auf elf Billionen Euro schätzt die Unternehmensberatung A.T. Kearney deren Kaufkraft im Jahr 2020. Die Demografie belegt das: Weltweit gibt es in 30 Jahren mehr Menschen jenseits der 60 als unter 16. Doch dieses Potenzial schöpft der Handel noch nicht richtig aus. „Während die meisten Einzelhändler günstige Preise und eine schnelle Bedienung als kaufentscheidend ansehen“, sagt A.T. Kearney-Experte Mirko Warschun, „legen ältere Kunden weniger Wert auf niedrige Preise und mehr Wert auf die Qualität der Produkte und Dienstleistungen.“
Händler können hier mit persönlicher Bedienung sowie freundlichem und kompetentem Personal punkten – und sollten auch ihre Ladenplanung auf die ältere Klientel umstellen. Denn Ältere bevorzugen kleinere Läden in der Nähe mit einem klar strukturierten und übersichtlichen Produktsortiment.
Die Risiken
Auch wenn der Handel insgesamt wächst: Es gibt Branchenzweige, in denen es schon länger nicht wirklich gut lief und die sich auch nicht so schnell erholen werden. Schwierig ist die Situation zum Beispiel im Schuheinzelhandel. Kleineren Geschäften, aber auch mittelgroßen Ketten fällt es immer schwerer im Wettstreit mit Online-Händlern wie Zalando und den großen Ketten Deichmann, Reno und Görtz zu bestehen. Auch der stationäre Buchhandel hat schwer zu kämpfen, weil E-Business und E-Book auf dem Vormarsch sind.
Darüber hinaus belasten die Eurokrise und deren mögliche Auswirkungen auf die Beschäftigung in Deutschland den Handel insgesamt. Ein unsicherer Arbeitsmarkt geht sofort auf die Konsumlust, wie das Beispiel der europäischen Nachbarländer zeigt.
Julia Leendertse
Auszug aus Jobguide Handel_Konsumgüter