Chancen
Damit die Energiewende langfristig gelingt, stehen Politikern, den großen Energiekonzernen, Stadtwerken, Anlagebauern, Projektplanern, Speichertechnik-Herstellern, Netzbetreibern und Ökostromanbietern noch jede Menge Investitionen und Arbeit ins Haus. Das sind gute Nachrichten für Ingenieure aus Maschinenbau und Elektrotechnik, für Betriebswirte, Logistiker, Agrarwissenschaftler, Biologen und Geologen, die mit ihrem Know-how beim Zukunftsprojekt Energiewende gefragte Leute sind. Darüber hinaus können auch Physiker, Chemiker, Elektroniker, Mechatroniker und Halbleiterspezialisten ihr Wissen einbringen. Denn Investitionen bedeuten auch immer neue Jobs.
Allein um die Stilllegung und den Rückbau der Kernkraftwerke zu stemmen, benötigen Atomkraftwerksbetreiber wie Eon, RWE und EnBW einige Tausend Ingenieure. Rund 367.000 Menschen arbeiten laut Bundesverband Erneuerbarer Energien (BEE) heute bereits in der Wind-, Solar- und Biomasseindustrie. 2020 sollen es insgesamt 500.000 sein.
Eine Gelddruckmaschine ist die Energiewende jedoch auch für Anbieter aus dem Bereich Erneuerbarer Energien nicht. Das bekommt zurzeit die Solarindustrie zu spüren, in der sich mit Q-Cells, Solon und First Solar die einstigen Pioniere der Billigkonkurrenz aus China geschlagen geben müssen. Dagegen boomt das Geschäft derer, die ganze Energieparks planen und bauen lassen sowie Dienstleistungen rund um die grüne Energie anbieten. Etwa bei Juwi, einem Projektentwickler aus Wörrstadt bei Mainz, der rund um den Globus Solar-, Wind- und Biomasse-Anlagen errichtet. 2011 wuchs Juwi um 500 auf 1.800 Mitarbeiter und der Umsatz stieg auf eine Milliarde Euro.
Für die Platzhirsche der Energiewirtschaft RWE, Eon, Vattenfall und EnBW bringt die Wende wohl die größten Herausforderungen mit sich. Sie müssen ihre großen Renditebringer, die neun noch laufenden deutschen Atomkraftwerke, abschalten und auf ein für sie recht neues Terrain vordringen: die Welt der Erneuerbaren Energien. Eon kommt derzeit konzernweit auf einen Anteil der Erneuerbaren von zehn Prozent. EnBW schafft es auf elf Prozent, RWE auf vier Prozent.
Die wichtigsten Innovationen erwarten die Energieversorger in den Bereichen Smart Grid, Smart Metering, E-Mobility und Energieeffizienz. Smart Grids, intelligente Stromnetze, gelten mittlerweile als Voraussetzung für die Energieversorgungsstruktur der Zukunft, während die Smart Meter, die intelligenten Zähler, die Basis für Transparenz über Verbrauch und dezentrale Einspeisung sind. Dazu braucht die Branche nicht nur findige Köpfe, die diese Innovationen vorantreiben, sondern auch Menschen, die die Verbraucher beraten.
Dass bahnbrechende Innovationen möglich sind, wenn der Markt nur laut genug nach praktikablen und vor allem bezahlbaren Lösungen schreit, beweist die neue Technik der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ). Sie könnte die Leistungsfähigkeit des bereits vorhandenen deutschen Höchstspannungsstromnetzes enorm beschleunigen und den Netzausbau erheblich preiswerter machen. Bestehende Masten und Leitungen würden so umgerüstet, dass über sie doppelt so viel Windstrom aus dem Norden ohne Verlust über Hunderte Kilometer nach Süden transportiert werden könnte. Der Dortmunder Netzbetreiber Amprion hat die HGÜ vor kurzem an einer Versuchsanlage in Datteln erfolgreich getestet. Im Gegensatz zu bisher würde die Übertragung nach dem Prinzip der Punkt-zu-Punkt-Verbindung funktionieren, käme also einer Stromautobahn mit einer Auf- und Ausfahrt gleich.
Risiken
Der Umbau der Stromwirtschaft produziert auch Verlierer. Konzerne wie Eon, RWE, EnBW und Vattenfall , die Atom- und Kohlekraftwerke betreiben, bauen Tausende von Jobs ab, weil der plötzliche Ausstieg aus der Kernkraft gigantische Summen an Mindereinnahmen und Kosten verursacht. Um in den Wandel investieren zu können, müssen sich auch viele der rund 700 Stadtwerke verschlanken. Diese würden gerne so schnell wie möglich den Kraftwerkspark in Deutschland modernisieren und dezentralisieren. Aber: „Was fehlt, ist die zentrale Koordination. Die Bundesregierung begreift die Energiewende noch nicht als Projekt, das aktiv auch im Kleinen gemanagt werden muss“, moniert Stadtwerke-Lobbyist Hans-Joachim Reck.
Als Prüfstein für die Energiewende entpuppen sich auch die Offshore-Windparks. Bis 2020 sollen in Nord- und Ostsee Windränder installiert werden, die bei optimalem Wind so viel Strom erzeugen könnten wie zehn Atommeiler – wäre da nicht das Problem mit dem Stromnetz. Der niederländische Stromnetzbetreiber Tennet sollte dafür sorgen, die Nordseeprojekte anzuschließen, weil sie an sein Hochspannungsnetz grenzen. Tennet fehlt jedoch das Geld dafür. Die Hochsee-Investoren rechnen deshalb damit, dass sich ihre Projekte um Jahre verzögern können. Das ist nur ein Beispiel von vielen, warum Skeptiker befürchten, dass ohne einen Masterplan die Stromwirtschaft in eine Krise zu laufen droht.
Julia Leendertse
Aus: Jobuide Engineering